Martin Frech

Manifest
Analoge Medien sind nicht retro,
sondern analog

Wird über klassische und digitale Medien geschrieben oder geredet, ist das r-Wort meist nicht weit: der zarte Boom (Instax, Platten­spieler, Super-8) wird gerne mit »retro« er- und damit als Life­style ver­klärt (»Hippster-Verdacht«). Hört auf damit – ich kann das nicht mehr hören.

Als ob es eine Gesetz­mäßig­keit gäbe, dass die jeweils digitale »Weiter«-Entwicklung das Bessere und somit die natür­liche Ablösung des Vor­digi­talen wäre. Ist es aber nicht.

© Martin Frech: Analoge Medien sind nicht retro, sondern analog

© Martin Frech: Analoge Medien sind nicht retro, sondern analog

Martin fotografiert, Foto: © Jonathan Frech

Foto: © Jonathan Frech

Martin fotografiert, Foto: © Jonathan Frech

Foto: © Jonathan Frech

© Martin Frech: Analoge Medien sind nicht retro, sondern analog© Martin Frech: Analoge Medien sind nicht retro, sondern analogMartin fotografiert, Foto: © Jonathan FrechMartin fotografiert, Foto: © Jonathan Frech

Analoges Arbeiten zeitigt andere Ergeb­nisse als die digi­talen Prozesse – das ist der Punkt!
Ein in der Dunkel­kammer ange­fertigter Farb­abzug eines Farb­negativs hat beispiels­weise eine andere mediale Qualität als der Medien­bruch der Aus­belichtung einer Bild­datei.

Denn die historisch gar nicht mehr so neuen Medien sind tat­sächlich neue Medien. Die Ingenieure und Techniker greifen ab einer bestimmten Ent­wicklungs­phase zwar gerne auf einge­führte Metaphern zurück und orien­tieren die Ober­flächen ihrer Geräte – beispiels­weise im Kamera­bereich, aber auch im Ton­studio – an den Vor­bildern. Das ändert jedoch nichts daran, dass die solcher­art vor­geb­lich »digi­talisierten« Medien tat­sächlich etwas neues sind: neue Medien mit einer neuen medialen Quali­tät. Im Bereich der Foto­grafie ist offen­sicht­lich, dass die herkömm­liche Foto­grafie genetisch in der Alchemie gründet – ich meine das historisch, nicht im Sinne von Barthes’ »kostbarem Metall«. Die mangels eines korrekten Begriffs so genannte »Digitale Foto­grafie« (ein nicht zu unter­schätzendes histo­risches Ver­sagen) wurzelt hin­gegen in der Quanten­physik. Die Verschieden­heit ist evident.

Klar ist auch, dass das Marketing in der Fläche diese Unter­schiede bewusst negiert – ist das Produkt doch vorder­gründig eine Weiter­ent­wicklung und kann als »besser« vermarktet werden. Dabei ist es doch nur »anders«. Der Foto-Markt hat dennoch wie gewünscht funkt­ioniert – die vermeint­lich veralteten Produkte wurden weniger nach­ge­fragt, die Fertigungs­kapa­zitäten wurden ent­sprechend der privat­wirt­schaft­lichen Logik abgebaut. Und irgend­wann gab/gibt es angeb­lich keine Alter­na­tive mehr.

Klar, die neuen Medien eröffnen neue Mög­lich­keiten, die ich schätze und gerne nutze. Doch sie ersetzen eben nicht die anderen, ihre angeblich veralteten angeb­lichen Vorgänger. Dabei ist es kein entweder/oder – es ist ein sowohl-als-auch. Die Medien­wissen­schaft hat das Phänomen beschrieben: ist ein Medium lange genug da, ver­schwindet es nicht ein­fach. Das mag sein, solange die tech­nischen Vor­aus­setzungen nicht allzu kompli­ziert sind. Die Druck­techniken oder das Pressen einer Schall­platte beispiels­weise sind sowohl hin­sicht­lich der Produktions­maschinen als auch der einge­setzten Roh­stoffe vergleichs­weise einfach – Pro­dukt­ions­struk­turen und die Material­versorgung können mehr oder weniger geschmeidig der Nach­frage ange­passt werden.

Bezogen auf den Foto- und Film­kontext muss ich Herrn Riepl jedoch wider­sprechen. Hier haben wir folgendes Problem: Sowohl die Apparate- als auch die Verbrauchs­material-Technik waren in den 1990er-Jahren nach einer mehr als 150jährigen Ent­wicklung auf einem ent­sprechend hohen Ni­veau. Kompli­zierte in­dus­tri­elle Fertigungs­prozesse waren bei inter­national etwa zwei hand­voll Firmen imple­men­tiert. Es gab keinen Markt für die Produk­tions­maschinen, diese wurden als Sonder­anlagen individuell gebaut. Die chemischen Rezepte und Prozesse waren eben­falls Ergebnis jahr­zehnte­langer firmen­interner Entwick­lungen und sind kein Gemein­gut. Das gilt für den Schwarz­weiß- und ins­besondere für den Farb­bereich.

Wird eine solche Struktur aufge­geben, ist sie unter veränderten Markt­bedingungen skaliert kaum wieder­zu­beleben. Die verdienst­vollen Be­mü­hungen von Herrn Böddecker in Bad Saarow, das Impossible-Projekt [sic!] oder die nur zähen Fort­schritte in Ferrania legen mir diesen Schluss jeden­falls nahe; das ist vergleich­bar mit dem Abschalten eines Hoch­ofens, der auch nicht einfach wieder ange­feuert werden kann. (Und wer mir jetzt mit dem Nass­platten-Prozess kommt, hat die Dimen­sion nicht verstanden.)

Martin Frech, 9/2016 -.-

siehe auch:
Martin Frech: Previsualization vs. Post Production – Farbe in der analogen und digitalen Foto­grafie

Wenn wir Foto­grafien farbig sehen, erliegen wir einer Sinnes­täuschung: In der Geschichte der Farb­foto­grafie gibt es mit Lipp­manns Helio­chromie nur ein einziges praktisch ange­wandtes Ver­fahren, das im Moment der Auf­nahme ein Farb­spektrum als solches aufnimmt. Dieses ist jedoch seit über 100 Jahren nicht mehr in Gebrauch. Alle anderen praktisch ge­nutzten Farb­foto-Ver­fahren funk­tionieren tri­chroma­tisch: Ob Maxwells Farb­dia-Ver­fahren (sein Schotten­muster war 1861 die erste öffent­lich gezeigte Farb­aufnahme), die Auto­chrome-Platte der Lumières, die ver­schiedenen Farb­filme oder Lands Polaroid – bei allen werden die roten, grünen und blauen Farb­infor­mationen im Moment der Aufnahme separiert.
So auch bei der »digitalen« Foto­grafie. Diese ist jedoch inso­fern ein Rück­schritt, da die Infor­mationen für die drei Farb­kanäle bei den üblichen farben­blinden Sensoren jeweils nur mit einem Teil der Auf­lösung registriert werden. Der größte Teil der Farb­infor­mationen wird in einem der Belichtung nach­geschalteten Prozess algo­rithmisch berechnet.
Die Technik­geschichte der emulsions­basierten Farb­foto­grafie hat eine bemerkens­werte Anzahl neben­einander bestehender unters­chiedlicher Ver­fahren zur Auf­nahme und Wieder­gabe von farbigen Bildern hervor­gebracht. Die Farb­darstellung ist dabei jeweils wesent­lich durch die Eigen­schaften der einge­setzten Materialien bestimmt. So wird die Aus­wahl der Materialien zwangs­läufig Teil des kreativen Prozesses – schon vor der ersten Belichtung.
Wird digital gearbeitet, ist die Qualität der Farben dagegen eine eine permanente Option in der Nach­produktion.
Im Vortrag werden Verfahren der zeit­genössischen Farb­fotografie vorge­stellt. Gemeinsam gehen wir den Fragen nach, welche Relevanz dem Material-Aspekt in diesem Kontext zukommt und wie man mit der zunehmend problematischen Verfüg­barkeit von foto­grafischem Material umgeht.

© Martin Frech: Regenbogen

(Thema meines Work­shops im Rahmen der inter­nationalen Konferenz ↱ »Farbe im Kopf – Von der Wahr­nehmung zur Kunst« [2016-09-23]) -.-

weitere Texte zum Thema:

☞ Shoot film, don’t kill it: ↱ savefilm.org