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Paul Sin­ner (1838–1925)

Martin Frech

Der Tü­bin­ger Fo­to­graf Paul Sin­ner gilt als ei­ner der wich­tigs­ten frü­hen Fo­to­gra­fen Würt­tem­bergs. Ihm ver­dan­ken wir Stadt­an­sich­ten aus dem 19. Jahr­hun­dert, Bil­der aus dem Deutsch-Fran­zö­sisch­en Krieg 1870/71 und je­de Men­ge Trach­ten­bil­der. Kö­nig Karl von Würt­tem­berg ver­lieh ihm 1868 ei­ne (klei­ne) »⁠Gol­de­ne Me­dail­le für Kunst und Wis­sen­schaft⁠« des Kö­nig­reichs. 1873 stel­lte er auf der Welt­aus­stel­lung in Wien aus.

Paul Sin­ner wur­de am 17. Juli 1838 in Lud­wigs­burg ge­bo­ren – zu der Zeit wur­de in Eng­land und Frank­reich die Fo­to­gra­fie er­fun­den. Er schloss ei­ne Bä­cker­leh­re ab, ar­bei­te­te nach sei­ner Wan­der­schaft je­doch als Schlos­ser in Ess­lin­gen. Ein Ar­beits­un­fall führ­te zu sei­ner be­ruf­li­chen Neu­ori­en­tie­rung als Fo­to­graf in Stutt­gart. Nach der Hoch­zeit mit Wil­hel­mi­ne Kien­le (1839–1933) zog das Paar 1864 nach Tü­bin­gen, wo Sin­ner sich dank des Ver­mö­gens sei­ner Frau als Fo­to­graf selb­stän­dig ma­chen konn­te. Paul Sin­ner starb vor 100 Jah­ren am 30. März 1925 in Tü­bin­gen.

Bilder aus dem Krieg

Paul Sin­ner war auf ei­ge­ne Ini­tia­ti­ve ei­ner der frü­hen Kriegs­fo­to­gra­fen im Deutsch-Fran­zö­sisch­en Krieg von 1870/71; er fo­to­gra­fier­te al­ler­dings nicht wäh­rend der Kampf­hand­lun­gen, son­dern die Kriegs­fol­gen für Land­schaf­ten und Städte, so­wie ar­ran­gier­te Gen­re­sze­nen. Sol­ches Fo­to­gra­fie­ren au­ßer­halb des Ate­li­ers war hand­werk­lich an­spruchs­voll, da es noch kein in­dus­t­ri­ell ge­fer­tig­tes Auf­nah­me­ma­te­ri­al (›⁠Tro­cken­plat­ten⁠‹) zu kau­fen gab. Die fo­to­gra­fi­schen Plat­ten muss­ten un­ter Rot­licht kurz vor der Auf­nah­me be­schich­tet, im noch feuch­ten Zu­stand be­lich­tet und so­fort ent­wick­elt wer­den (›⁠Nas­ses Kol­lo­di­um­ver­fah­ren⁠‹; vgl. ⁠ ⁠Das Nas­se Kol­lo­di­um­ver­fah­ren – ei­ne fo­to­his­to­ri­sche Verortunga). Paul Sin­ner hat­te sich da­für ei­ne mo­bi­le Dun­kel­kam­mer in ei­ner Pfer­de­kut­sche ein­ge­rich­tet.

Wohlfühlbilder

Die 48er-Re­vo­lu­tion, die Industriali­sierung und die Ei­sen­bahn ver­än­der­ten auch das Le­ben auf dem Land grund­le­gend. Folk­lo­ris­ti­sche »⁠Wohl­fühl­bil­der⁠«, die die ver­meint­lich idyl­li­sche hei­le Welt von »⁠frü­her⁠« he­rauf­be­schwo­ren, ka­men da ge­ra­de recht. Paul Sin­ner be­för­der­te die­ses Be­dürf­nis mit sei­nen in­sze­nier­ten und häu­fig stark re­tu­schier­ten schwä­bi­schen Trach­ten­bil­dern, die er als Ein­zel­bilder im Carte-de-Vi­site-For­mat, spä­ter auch als Post­karten, ver­trieb. Betz­in­gen war ei­ner der Schwer­punk­te die­ser Ar­beit.

Kulturgutdokumentation

Über vie­le Jah­re fer­tig­te Paul Sin­ner Auf­nah­men his­to­risch und kul­tu­rell wich­ti­ger Ge­bäu­de und Ar­te­fak­te an, die er von 1876 bis 1915 the­ma­tisch ge­glie­dert in Map­pen ver­öf­fent­lich­te. Bei der Aus­wahl der Ob­jek­te un­ter­stütz­ten ihn als He­raus­ge­ber der Stut­tgar­ter Kunst­his­to­ri­ker Wil­helm Lüb­ke (1826–1893), der Schrift­stel­ler und Denk­mal­pfle­ger Edu­ard Pau­lus (1837–1907) so­wie der Kunst­leh­rer Franz Xa­ver Schwarz (1822–1904). So ist ein In­ven­tar we­sent­li­cher Kunst­wer­ke Würt­tem­bergs und Ho­hen­zol­lerns ent­stan­den. Das Spek­trum ist breit und reicht von Ge­bäu­de­an­sich­ten und De­tails von Kir­chen, Klös­tern, Bur­gen und Schlös­sern über Ab­bil­dun­gen von Denk- und Grab­ma­len hin zu Stadt­an­sich­ten und Bil­dern kunst­hand­werk­li­cher Ge­gen­stände.

Farbbild: Vitrine im Stadtarchiv Reutlingen mit der Ausstellung zu Paul Sinners 100. Geburtstag. (Foto: StadtA Rt./Frech, 9/2025)
Mei­ne Vi­tri­nen­aus­stel­lung im Stadt­archiv Reut­lin­gen (2. Hj. 2025)
Fo­to: Frech/StadtA Rt.b S 106 Nr. 25B0216
Farbbild: Vitrine im Stadtarchiv Reutlingen mit der Ausstellung zu Paul Sinners 100. Geburtstag. (Foto: StadtA Rt./Frech, 9/2025)
Farbbild: Vitrine im Stadtarchiv Reutlingen mit der Ausstellung zu Paul Sinners 100. Geburtstag. (Foto: StadtA Rt./Frech, 9/2025)
Mei­ne Vi­tri­nen­aus­stel­lung im Stadt­archiv Reut­lin­gen (2. Hj. 2025)
Fo­to: Frech/StadtA Rt.b S 106 Nr. 25B0217
Farbbild: Vitrine im Stadtarchiv Reutlingen mit der Ausstellung zu Paul Sinners 100. Geburtstag. (Foto: StadtA Rt./Frech, 9/2025)

Lit.


Fußnoten.
ahttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2014-03-17_Martin-Frech_Das-nasse-Kollodiumverfahren-eine-fotohistorische-Verortung.html
bhttps://www.reutlingen.de/stadtarchiv
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Frech, Martin: »Paul Sin­ner (1838–1925)«. In: Notizen zur Fotografie, 2025-03-30. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2025-03-30_Martin-Frech_Paul-Sinner-100.html
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