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An­mer­kun­gen zu Mike Craw­fords Pro­jekt »Ob­so­lete and Discon­tinued«

Martin Frech
Abstract.
Im ver­gan­ge­nen Herbst [am 04.11.2016] wur­de in Köln ei­ne Aus­stel­lung mit Ar­bei­ten aus dem Pro­jekt »Ob­so­lete and Discon­tinued« von Mike Craw­ford er­öff­net. Zur Ein­führ­ung habe ich ei­nen Text ge­schrieben, den ich hier do­ku­men­tie­re.

Es gibt Fo­to­gra­fin­nen und Fo­to­gra­fen, für die der Ma­te­ri­al-As­pekt in­te­gra­ler Be­stand­teil ih­rer Ar­beit ist. Die Aus­wahl und die an­ge­pass­te Ent­wick­lung der Filme, das An­fer­ti­gen der Kon­tak­te und schließ­lich die Aus­ar­bei­tung der Ab­zü­ge sind für sie neben der Wahl des Mo­tivs wich­ti­ge und be­wuss­te Schrit­te zum end­gül­ti­gen Bild: Der Ab­zug ist Teil des Kunst­werks. Denn das Rin­gen mit den Ei­gen­schaf­ten des Ma­te­ri­als bleibt in jedem analog her­ge­stel­lten Werk mehr oder weniger sicht­bar und macht des­sen Au­ra mit aus.

Die­ser An­satz ist mit­nich­ten rück­wärts­ge­wandt oder gar über­holt. Als ob es ei­ne Ge­setz­mä­ßig­keit gäbe, dass die je­weils di­gi­ta­le »Wei­ter«-Ent­wick­lung das bes­se­re und so­mit die na­tür­li­che Ab­lö­sung des vor­di­gi­ta­len wä­re. Ist es aber nicht! Das Ar­bei­ten mit ana­lo­ger Sig­nal­auf­zeich­nung zei­tigt eben an­de­re Er­geb­nis­se als der di­gi­ta­le Work­flow – das ist der Punkt!

Mike Craw­fords Pro­jekt, des­sen Er­geb­nis­se wir hier in Tei­len aus­stel­len, deu­tet die Band­brei­te des­sen an, was mit emul­si­ons­ba­sier­tem – licht­emp­find­li­chem – Fo­to­pa­pier mög­lich ist. Es ist eben nicht damit ge­tan, ein be­stimm­tes Pa­pier zu wäh­len. Mit­ent­schei­dend für das Er­geb­nis ist die Art der che­mi­schen Be­ar­bei­tung.

Mike ar­bei­tet als Fo­to­graf⁠ [1] und be­treibt in Lon­don ein Fo­to­fach­la­bor.⁠ [2] Das Pro­jekt »Ob­so­lete and Discon­tinued« be­gann damit, dass ihm ein Kunde zahl­reiche Schach­teln mit altem und ab­ge­lau­fe­nem Fo­to­pa­pier brach­te. Fo­to­pa­pier ver­liert zwar nach ei­ni­gen Jahren sei­ne zu­ge­sag­te Qua­li­tät und wird dann üb­li­cher­wei­se weg­ge­wor­fen. An­de­rer­seits kann das Pa­pier durch die Al­te­rung aber auch in­te­r­es­sante nicht vor­her­seh­ba­re Er­geb­nis­se lie­fern.

Mike ver­teil­te das Ma­te­ri­al da­her in­ter­na­ti­o­nal an über 50 Fo­to­gra­fin­nen und Fo­to­gra­fen mit der Bit­te, damit zu ex­peri­men­tie­ren und et­was da­raus zu ma­chen.

Er bekam Ab­zü­ge zu­rück, die mit ei­ner Viel­zahl an Ver­fah­ren er­ar­bei­tet wurden: klas­sisch aus­ge­ar­bei­te­te Prints und Lith-Prints, getont oder nicht, Ab­zü­ge von Nass­plat­ten- und Pa­pier-Ne­ga­ti­ven, Col­la­gen, Fo­to­gram­me, Ar­bei­ten mit ma­ni­pu­lier­ten Emul­sio­nen und di­ver­se mit hy­bri­den analog/di­gi­ta­len Tech­ni­ken an­ge­fer­tigte Bil­der.

Ja, die neuen Me­di­en er­öff­nen neue Mög­lich­keiten, die ich schätze und gerne nut­ze. Doch sie er­setz­en eben nicht die an­de­ren, ih­re an­geb­lich ver­al­te­ten an­geb­li­chen Vor­gän­ger. Da­bei ist es kein ent­we­der/oder – es ist ein so­wohl-als-auch. Un­se­re Aus­stel­lung ver­deut­licht das sehr schön.

Die Me­dien­wis­sen­schaft hat das Phä­no­men be­schrie­ben: Ist ein Me­di­um lan­ge genug da, ver­schwin­det es nicht ein­fach. Das mag sein, solange die tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen nicht all­zu kom­pli­ziert sind. Die Druck­tech­ni­ken oder das Pres­sen ei­ner Schall­plat­te bei­spiels­wei­se sind so­wohl hin­sicht­lich der Pro­duk­ti­ons­ma­schi­nen als auch der ein­ge­setz­ten Roh­stof­fe ver­gleichs­wei­se ein­fach – Pro­duk­ti­ons­struk­tu­ren und die Ma­te­ri­al­ver­sor­gung kön­nen mehr oder weniger ge­schmei­dig der Nach­fra­ge ab­ge­passt wer­den.

Im Foto- und Film­kon­text haben wir je­doch fol­gen­des Prob­lem. So­wohl die Ap­pa­ra­te- als auch die Ver­brauchs­ma­te­ri­al-Tech­nik waren in den 1990er-Jahren nach ei­ner mehr als 150jäh­ri­gen Ent­wick­lung auf ei­nem ent­spre­chend hohen Ni­veau. Kom­pli­zier­te in­du­stri­el­le Fer­ti­gungs­pro­zesse waren bei in­ter­na­ti­o­nal etwa zwei hand­voll Fir­men im­ple­men­tiert. Es gab kei­nen Markt für die Pro­duk­ti­ons­ma­schi­nen, die­se wurden als Son­der­an­lag­en in­di­vi­du­ell ge­baut. Die che­mi­schen Re­zep­te und Pro­zesse waren eben­falls Er­geb­nis jahr­zehn­te­lang­er fir­men­in­ter­ner Ent­wick­lun­gen und sind kein Ge­mein­gut. Das gilt für den Schwarz­weiß- und ins­be­son­de­re für den Farb­bereich.

Wird ei­ne solche Struk­tur auf­ge­ge­ben, ist sie un­ter ra­di­kal ver­än­der­ten Markt­be­din­gun­gen ska­liert kaum wie­der­zu­be­le­ben. Die Ak­ti­vi­tä­ten von Mirko Böd­decker in Bad Saarow (Adox Fo­to­wer­ke), Flo­ri­an Kaps' Im­pos­si­ble Proj­ect [sic] oder die nur zähen Fort­schrit­te in Fer­ra­nia (FILM Fer­ra­nia; Nicola Bal­dini, Marco Pagni; 2013) le­gen mir diesen Schluss je­den­falls nahe; das ist ver­gleich­bar mit dem Ab­schal­ten ei­nes Hoch­ofens, der auch nicht ein­fach wie­der an­ge­feu­ert wer­den kann.

Foto- und Me­di­en­künst­ler, die emul­si­ons­ba­siert ar­bei­ten, haben da­her zu­neh­mend Prob­leme mit der Ma­te­ri­al­be­schaf­fung.

Sie haben ge­gen­über den Kol­le­gen in den an­de­ren Sparten – bei­spiels­wei­se den Ma­lern oder Bild­hau­ern – das Prob­lem, dass sie am Tropf ei­ner In­dus­trie hängen. Und zwar ei­ner In­dus­trie, die mit der an­ge­wand­ten Fo­to­gra­fie und den Vor­führ­ko­pien des Kinos groß ge­wor­den ist. Zu groß für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se.

Die an­ge­wand­ten Fo­to­gra­fen sind um­ge­stie­gen und im Ki­no wer­den Bil­der aus Da­ten pro­ji­ziert. Jetzt reicht die Ma­te­ri­al-Nach­fra­ge der Fo­to­künst­ler of­fen­bar nicht, um die in­du­stri­el­le Pro­duk­tion zu fi­nan­zie­ren. Also ver­schwin­den die Pro­duk­te vom Markt.

Wie an­fangs dar­ge­legt, haben die Künst­ler je­doch ernst­haf­te Gründe, an ihrem Ma­te­ri­al fest­zu­hal­ten. Was tun, wenn man wei­ter­hin emul­si­ons­ba­siert ar­bei­ten will?

Die US-ame­ri­ka­ni­sche Fo­tok­ünst­ler­in Judith Joy Ross hat mit der Schwarz­weiß-Fo­to­gra­fie auf­ge­hört, als ih­re Vor­rä­te an Aus­ko­pier­pa­pier auf­ge­braucht waren. Dito Man­fred Hamm mit der Farb­fo­to­gra­fie, weil sein be­vor­zugtes Dia­ma­te­ri­al nicht mehr er­hält­lich ist (⁠ ⁠Film­ma­te­ri­al: Die Ma­te­rial­fra­ge des Dia-Fo­to­gra­fena).

Ei­ne an­de­re Mög­lich­keit ist, sich von In­dus­trie­pro­duk­ten un­ab­hängig zu ma­chen; wie bei­spiels­wei­se die Kol­le­gen von der Nass­plat­ten-Frak­ti­on, die ihr Ma­te­ri­al selbst be­schich­ten oder Lomig Perro­tin, der in Frank­reich pri­mi­ti­ve Roll­filme selbst her­stellt.

Ei­ne wei­te­re Mög­lich­keit wären staat­li­che Sub­ven­tio­nen zum Er­halt der Film- und Fo­to­pa­pier­pro­duk­tion. Das – und den Welt­erbe-Ti­tel für den fo­to­che­mi­schen Film – for­dert bei­spiels­wei­se die Me­di­en­künst­ler­in Tacita Dean.

Als ob das Ma­te­rial­prob­lem nicht schon schlimm genug wä­re, habe ich zu­dem von Kol­le­gen ge­hört, die sich für das Fest­hal­ten an ih­rer Ar­beits­wei­se recht­fer­ti­gen müs­sen. Im Sinne von: steig’ doch end­lich um – di­gi­tal ist doch eh’ viel bes­ser.

Wä­re es nicht sinn­vol­ler, die Kol­le­gen in ihrem Tun zu be­stär­ken: »Don’t kill film, shoot it« – und sich ne­ben­bei da­für ein­zu­set­zen, dass die­se Kul­tur­tech­nik er­hal­ten bleibt?


Fußnoten.
1⁠ ⁠mike-crawford.co.uk/ [2025-02-23]
2Light­house Dark­room: ⁠ ⁠lighthousedarkroom.com/ [2025-02-23]
ahttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2012-07-04_Martin-Frech_Die-Materialfrage-des-Dia-Fotografen.html
bhttp://www.schaelpic.de/
Mike Craw­ford: Ob­so­lete and Discon­tinued
Aus­stel­lungs­ort: ⁠ ⁠schael­pic pho­to­kunst­barb
Schan­zen­stra­ße 27
51063 Köln
Tel. (02 21) 29 99 69 20
Aus­stel­lungs­dau­er:
7. No­vem­ber 2016 bis 3. Fe­bru­ar 2017
(Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr
und nach Ver­ein­ba­rung)
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »An­mer­kun­gen zu Mike Craw­fords Pro­jekt ›Ob­so­lete and Discon­tinued«. In: Notizen zur Fotografie, 2017-02-05. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2017-02-05_Martin-Frech_Anmerkungen-zu-Mike-Crawfords-Projekt-Obsolete-and-Discontinued.html
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Frech, Martin: »An­mer­kun­gen zu Mike Craw­fords Pro­jekt ›Ob­so­lete and Discon­tinued‹«. In: Notizen zur Fotografie, 2017-02-05. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2017-02-05_Martin-Frech_Anmerkungen-zu-Mike-Crawfords-Projekt-Obsolete-and-Discontinued.html$1