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Michael Westmoreland, Jook Leung u⁠.⁠ ⁠a⁠.: »360 Grad«

Martin Frech
Abstract.
Am 27. Sep­tem­ber 2006 wur­de in der schael­pic pho­to­kunst­bar in Köln die Aus­stel­lung »360 Grad« mit Ar­bei­ten von Michael Westmoreland, Jook Leung u⁠.⁠ ⁠a⁠. er­öff­net. Zur Ein­führ­ung habe ich via Vi­deo­über­tra­gung aus Ber­lin ei­nen Vor­trag ge­hal­ten, den ich hier do­ku­men­tie­re.

Guten Abend!

Die Aus­stel­lung, die wir heu­te abend er­öff­nen , ist et­was be­son­de­res.
Sie zeigt Pa­no­ra­ma­bilder, also Ar­bei­ten aus ei­nem Rand­ge­biet der Pho­to­gra­phie.

Nun ist die Pa­no­ra­ma­photo­graphie kein ei­ge­nes Gen­re, sondern ei­ne Auf­nah­me­tech­nik, un­ab­hängig vom Mo­tiv.
Den­noch … die brei­ten Bil­der haben ei­ne be­son­de­re An­mu­tung, schon auf Grund ihres un­ge­wohn­ten For­mats.

Tech­nisch kann man vier prin­zi­pi­ell ver­schie­de­ne Me­tho­den un­ter­schei­den, Pa­no­ra­men auf­zu­neh­men.
Nicht jede da­von eignet sich gleich­er­maß­en für jedes Mo­tiv. Um­ge­kehrt kann man die vom Bild­autor je­weils ver­wen­de­te Tech­nik den Pho­to­gra­phi­en meist an­se­hen. Sie wer­den das an den hier ge­zeig­ten Ar­bei­ten er­ken­nen kön­nen.

Die vier Ty­pen von Pa­no­ra­ma­ka­me­ras sind Weit­win­kel­ka­me­ras, Schwing­lin­sen­ka­me­ras, Ro­ta­ti­ons­ka­me­ras und irgend­welche Ka­me­ras in Kom­bi­na­tion mit Com­pu­ter­pro­gram­men, die Ein­zel­bilder zu lan­gen Bil­dern zu­sam­men­setzen.

Prin­zi­pi­ell kön­nen Sie jedes Bild in ein Pa­no­ra­ma­bild ver­wan­deln, in­dem Sie es an der lan­gen Sei­te ent­spre­chend zu­schnei­den.
Nach diesem Prin­zip funk­tio­nie­ren die kom­pak­ten »Pa­no­ra­ma«-Ka­me­ras oder der P-Mo­dus bei den APS-Ka­me­ras.

Nach dem­sel­ben Prin­zip funk­tio­nie­ren auch die sog. echten Pa­no­ra­ma­ka­me­ras, die bei­spiels­wei­se ein 17 cm langes Stück Roll­film be­lich­ten. Das ist auch nichts an­de­res als ei­nen 5 × 7 Inches großen Plan­film zu be­schnei­den. Der ein­zi­ge Un­ter­schied ist tat­säch­lich der sinn­vol­le Ver­grö­ße­rungs­fak­tor, und mög­lich­er­weise die Qua­li­tät der Ob­jek­ti­ve.

Das Kenn­zei­chen die­ses Ka­me­ra­typs ist, dass während der Be­lich­tung we­der die Ka­me­ra noch das Ob­jek­tiv be­wegt wer­den. Der Auf­nah­me­win­kel ist auf etwa 100° be­grenzt.

Der zwei­te Pa­no­ra­ma­ka­me­ra­typ ist die Schwing­lin­sen­ka­me­ra.
Wie der Name es be­schreibt, be­wegt sich hier das Ob­jek­tiv während der Auf­nah­me – und zwar kreis­förmig. Hinter dem Ob­jek­tiv be­fin­det sich ein Schlitz, durch den der Film be­lich­tet wird. Da­bei liegt der Film in der Ka­me­ra nicht plan, sondern ge­bo­gen.
Das führt zu Ver­zer­rung­en: ge­ra­de Linien im Mo­tiv wer­den ge­bo­gen ab­ge­bil­det.
Der Auf­nah­me­win­kel be­trägt bei Schwing­lin­sen­ka­me­ras bis zu 150°.

Schwing­lin­sen­ka­me­ras gibt es, seit pho­to­gra­phiert wird. Das ers­te ent­spre­chen­de Pa­tent wur­de schon 1843 ver­ge­ben.

Viele der hier ge­zeig­ten Ar­bei­ten aus dem Fun­dus der Agen­tur Pan­o­ram­ic Images sind nach dem Prin­zip »be­schnit­te­ne Weit­win­kel­auf­nah­me« oder mit Schwing­lin­sen­ka­me­ras ent­stan­den. Als Pa­no­ra­men de­fi­niert die Agen­tur Bil­der ab ei­nem Sei­ten­ver­hält­nis von 2:1.

Die Agen­tur Pan­o­ram­ic Images mit Sitz in Evans­ton/Il­li­nois wur­de 1987 ge­grün­det und ver­tritt etwa 150 Pho­to­graphen welt­weit. 75 % der Agen­tur­kun­den kom­men aus der Wer­be­bran­che, die Motiv­aus­wahl ist auf die­se Ziel­grup­pe zu­ge­schnit­ten.

Ro­ta­ti­ons­ka­me­ras sind der drit­te Pa­no­ra­ma­ka­me­ra-Typ.
Bei diesen Ka­me­ras be­we­gen sich während der Auf­nah­me so­wohl das Ka­me­ra­gehäuse als auch der Film in der Ka­me­ra.
Be­lich­tet wird, wie bei den Ro­ta­ti­ons­ka­me­ras, durch ei­nen schma­len Spalt.
Die­ses Kon­struk­ti­ons­prin­zip er­mög­licht prin­zi­pi­ell be­lie­bi­ge Bild­win­kel, auch grö­ßer als 360° – be­grenzt nur durch die Film­länge.

Auch die­ser Ka­me­ra­typ hat in der Ge­schich­te der Pho­to­gra­phie ei­ne lan­ge Tra­di­tion.
Während Schwing­lin­sen­ka­me­ras schon mit ge­bo­ge­nen Da­guer­reo­ty­pie-Plat­ten funk­tio­nier­ten – das Auf­nah­me­ma­te­ri­al mus­ste ja nicht be­wegt wer­den –, ist für das Prin­zip der Ro­ta­ti­ons­ka­me­ras fle­xib­ler Roll­film ei­ne Vor­aus­setzung.
Den gab es ab etwa 1870 und bald da­rauf auch die­se Art von Pa­no­ra­ma­ka­me­ras.

Den eng­li­schen Künst­ler Michael Westmoreland in­te­res­sie­ren in sei­ner Ar­beit die Ho­ri­zon­te und Sky­lines.
Rück­blick­end be­trach­tet Mo­ti­ve, für die sich die Pa­no­ra­ma­photo­graphie als Tech­nik ge­ra­de­zu auf­drängt.
Michael Westmoreland nutzte ab etwa 1970 his­to­ri­sche Cirkut-Ro­ta­ti­ons­ka­me­ras, die im ersten Drit­tel des 20. Jahr­hun­derts von der Fir­ma Ko­dak ge­baut wurden.⁠ [1]
In den USA sind die groß­for­matigen Cirkut-Ka­me­ras von Pa­no­ra­ma­photo­graphen ver­gleichs­wei­se häu­fig ge­nutz­te Werk­zeu­ge – die­se ar­bei­ten je­doch über­wiegend mit Schwarz­weiß-Ma­te­ri­al.
In Eu­ro­pa da­ge­gen sind Cirkut-Ka­me­ras eher un­be­kannt, noch – un­se­rer Aus­stel­lung wird das si­cher än­dern.

Michael Westmoreland wollte far­big­e Auf­nah­men ma­chen und wur­de so zum Pi­o­nier, als er in Eng­land da­ran ar­bei­te­te, mit Cirkut-Ka­me­ras auf Farb­film zu pho­to­gra­phie­ren.
Das hat – je­den­falls in Eu­ro­pa – nie­mand zu­vor ge­macht.
De­tails zu sei­ner Tech­nik kön­nen sie nach­le­sen im hier aus­lie­gen­den Falt­blatt⁠ [2].

Sich die­se Tech­nik an­zu­eig­nen, war für Michael Westmoreland ein stei­ni­ger, je­doch er­folg­reicher Weg.
Michael Westmoreland ist ein an­er­kan­nter Meis­ter der Pa­no­ra­ma­photo­graphie und ich freue mich ganz be­son­ders da­rü­ber, dass er heu­te unser Gast ist und wir sei­ne Ar­bei­ten erst­mals in Deutsch­land zei­gen dür­fen.

Die letz­te und jüngs­te Tech­nik, Pa­no­ra­men her­zu­stel­len, be­steht da­rin, ein­zel­ne Auf­nah­men mit­hil­fe ge­eig­ne­ter Com­pu­ter­pro­gram­me zu ei­nem lan­gen Bild zu­sam­men­zu­fü­gen; das sog. Stitch­en.
Po­pu­lär wur­de die­se Me­tho­de, als die Fir­ma Apple 1992 das ers­te ent­spre­chen­de Stitch­ing-Pro­gramm auf den Markt brach­te.
Gleich­zeitig wur­de die Pho­to­gra­phie mit Quick­Time-VR um ein neues Prä­sen­ta­tions­medium er­gänzt: in­ter­ak­ti­ve Pa­no­ra­men.

Wirk­lich auf­re­gend wur­de das, als ei­ni­ge Jahre spä­ter sphä­ri­sche Pa­no­ra­men mög­lich wurden, also Bil­der, die den kom­plet­ten Raum ab­bil­den.

Jook Leung, der viele Jahre als Pho­to­graph in ei­nem New Yorker Stu­dio ge­ar­bei­tet hat, be­schäf­tigt sich seit etwa zehn Jahren sehr er­folg­reich mit ge­stitch­ten und in­ter­ak­ti­ven Pa­no­ra­men.
Sei­ne Er­fahr­un­gen mit klas­si­schem Photo-Com­pos­ing – aus der Zeit vor Photo­shop – kom­men ihm da­bei si­cher zu­gu­te.
Er ist – ohne Zwei­fel – ein Meis­ter die­ses Genres, zahl­reiche Aus­zeich­nun­gen be­stä­ti­gen das.

Jook Leungs selbst ge­stell­te He­r­aus­for­de­rung sind die 240° Bild­win­kel, die die meis­ten Pho­to­graphen aus­blen­den.
(Auch Michael Westmoreland hat sel­ten ein Mo­tiv ge­fun­den, das ihm ei­ne kom­plet­te Dre­hung wert war.)

In­no­va­ti­ve Bild­ideen, pho­to­jour­na­lis­ti­sche Ar­bei­ten jen­seits tra­di­ti­o­nel­ler Sicht­weisen, Ge­schich­ten in 360°, live-Sze­nen in ei­nem un­be­weg­ten Bild.
Jook Leung ist ein Impuls­geber und setzt mit sei­nen Bil­dern Meilen­steine in die­ser noch jun­gen Kunst­form des 21. Jahr­hun­derts.

Wir se­hen hier ei­ne wun­der­bare Aus­stel­lung, die ei­nen großen Bo­gen spannt, in­dem sie exem­pla­risch die Band­brei­te der Pa­no­ra­ma­photo­graphie vor­führt.

Vielen Dank an Michael Westmoreland und Jook Leung für ihr En­ga­ge­ment und ih­re Un­ter­stütz­ung un­se­rer Aus­stel­lung.

Vielen Dank auch an das Team vom Ate­li­er für Medien­ge­stal­tung: Frank, Frank und vor allem To­bi­as haben ei­ne Men­ge Ener­gie in die­ses Pro­jekt in­ves­tiert.

Vielen Dank für Ih­re Auf­merk­sam­keit!


Fußnoten.
1🗎⁠ ⁠Mar­tin Frech (2006): Die Cirkut-Pa­no­ra­ma­ka­me­rasa
(pdf-Da­tei von mei­nen alten Web-Sei­ten)
2Mar­tin Frech: Mi­cha­el West­more­land. Eu­ro­päi­scher Pi­o­nier rie­si­ger Farb-Pa­no­ra­ma-Auf­nah­men. Falt­blatt [2006]
🗎⁠ ⁠Down­load der Pdf-Da­teib
ahttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2006-09-26/Martin-Frech_2006_Cirkut-Kameras.pdf
bhttps://www.medienfrech.de/foto/NzF/2006-09-26/Martin-Frech-2006_Michael-Westmoreland.pdf
chttps://www.schaelpic.de/
Mi­cha­el West­more­land, Jook Leung u⁠.⁠ ⁠a⁠.: 360 Grad
Aus­stel­lungs­ort: ⁠ ⁠schael­pic pho­to­kunst­barc
Schan­zen­stra­ße 27
51063 Köln
Tel. (02 21) 29 99 69 20
Aus­stel­lungs­dau­er:
27. Sep­tem­ber bis 26. No­vem­ber 2006
(Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr
und nach Ver­ein­ba­rung)
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »Michael Westmoreland, Jook Leung u⁠.⁠ ⁠a⁠.: ›360 Grad‹«. In: Notizen zur Fotografie, 2006-09-26. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2006-09-26_Martin-Frech_Michael-Westmoreland-Jook-Leung-ua-360-Grad.html
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Zitierempfehlung:
Frech, Martin: »Michael Westmoreland, Jook Leung u⁠.⁠ ⁠a⁠.: ›360 Grad‹«. In: Notizen zur Fotografie, 2006-09-26. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2006-09-26_Martin-Frech_Michael-Westmoreland-Jook-Leung-ua-360-Grad.html$1