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El­ke Braun und Claus Die­ter Geissler: »Road Kills« [Aus­stel­lung]

Martin Frech
Abstract.
Am 22. März 2019 wur­de in der schael­pic pho­to­kunst­bar in Köln die Aus­stel­lung »Road Kills« von El­ke Braun und Claus Die­ter Geissler (mit ei­nem Gast­bei­trag von Kurt Wag­ner) er­öff­net. Zur Ein­führ­ung habe ich ei­nen Vor­trag ge­hal­ten, den ich hier do­ku­men­tie­re.

Als Kind oder Ju­gend­li­cher – an den Zu­sam­men­hang kann ich mich nicht mehr er­innern – habe ich von Mön­chen er­fah­ren, die beim Ge­hen stän­dig den Weg vor sich keh­ren. Das tun sie, um auch nicht die kleins­ten Tie­re zu zer­tre­ten. Mich hat das da­mals schwer be­ein­druckt.
Heu­te weiß ich: das sind die Jain-Non­nen und -Mön­che. Sie ha­ben ein Ge­lüb­de ab­ge­legt, kei­ne Le­be­we­sen zu ver­let­zen oder zu tö­ten. Ich neh­me an, sie wür­den da­her auch nicht mit dem Auto fah­ren.

Was Au­to­fah­ren an­rich­ten kann, se­hen Sie in un­se­rer Aus­stel­lung: Wir zei­gen Stil­leben von to­ten Tie­ren.
An­ge­sichts der Mo­ti­ve er­scheint der Be­griff erst­mal un­pas­send. An­de­rer­seits ge­hö­ren tote Tie­re seit je­her zum In­ven­tar klas­sisch­er Stil­leben; man den­ke nur an die Jagd­stil­leben mit de­tail­ge­treu dar­ge­stell­tem er­leg­ten Wild.

Ei­ne gute Ge­le­gen­heit also, sich den Be­griff näher an­zu­schau­en.
Das le­ben in Stil­leben ist denn auch eher ein Über­set­zungs­feh­ler.
Der Be­griff Stil­leben kommt aus dem nieder­län­di­schen: stil leven. Das stil steht für un­be­wegt, das leven für Da­sein. Im Deut­schen gab es im 17. Jahr­hun­dert die ex­akte Über­set­zung still­ste­hen­de Sa­chen; Stil­leben hat sich den­noch durch­ge­setzt.
Die fran­zö­sisch­en und ita­li­e­nisch­en Be­griffe na­ture morte bzw. na­tu­ra mor­ta er­schei­nen mir viel pas­sen­der; vor al­lem hier – um wie­der aufs The­ma der to­ten Tie­re zu­rück­zu­kom­men.

Mir ge­fällt an un­se­rer Aus­stel­lung, dass hier zwei sehr ver­schie­de­ne fo­to­gra­fi­sche He­ran­ge­hens­wei­sen an das­sel­be The­ma di­rekt ver­gleich­bar sind. Denn wie kön­nen wir Fo­to­gra­fien be­ur­tei­len jen­seits von »ge­fällt mir« oder »ge­fällt mir nicht«? Am ehes­ten doch, in­dem wir uns an­se­hen, wie ein The­ma von un­ter­schied­lich­en Fo­to­gra­fen auf­ge­fasst und prä­sen­tiert wird.

Für die­se Aus­stel­lung ha­ben wir die Se­rie »kol­la­te­ral« von El­ke Braun der Ar­beit »Who killed Bam­bi?«von Claus Die­ter Geissler ge­gen­über­ge­hängt. El­kes Fo­tos sind in den letz­ten Jah­ren ent­stan­den, Claus Die­ters Auf­nah­men sind äl­ter, er hat sie vor bald 20 Jah­ren ge­macht. Bei­de ha­ben – un­ab­hän­gig von­ein­an­der – das­sel­be The­ma ge­wählt: Tie­re als Op­fer des Stra­ßen­ver­kehrs.

El­ke und Claus Die­ter ha­ben ih­re Mo­ti­ve am Fund­ort fo­to­gra­fiert und wohl nicht ar­ran­giert. In­so­fern ist Stil­leben viel­leicht doch die fal­sche Ka­te­go­rie und ich soll­te eher von fo­to­gra­fier­ten ob­jets trou­vés re­den, von ge­fun­de­nen Ob­jek­ten; ge­fun­den hier im Sin­ne von aus­ge­such­tem Fund­stück.

Da­her habe ich mich sehr über Anna Wag­ners An­ge­bot ge­freut, hier ei­nen Gast­bei­trag ih­res ver­stor­be­nen Va­ters zu zei­gen. Der Köl­ner Fo­to­graf Kurt Wag­ner (1936–2009) hat für sei­ne Ar­beit »Ent­we­sung« (ca. 1985) ei­nen to­ten Vo­gel von der Stra­ße ins Ate­li­er ge­holt, die­sen vor ei­nem selbst ge­mal­ten Hin­ter­grund ar­ran­giert und da­mit ein Stil­leben in der klas­sisch­en Tra­di­tion ge­schaf­fen.

El­ke prä­sen­tiert ih­re Fun­de do­ku­men­ta­risch-sach­lich und far­big mit di­gi­ta­lem Werk­zeug, bei­na­he wie Tat­ort-Fo­tos.
Claus Die­ter hat et­was tie­fer in die fo­to­gra­fi­sche Werk­zeug­kis­te ge­grif­fen und sei­ne auf Film auf­ge­nom­men­en Bil­der als Lith-Prints aus­ge­ar­bei­tet. Bei ihm tritt der do­ku­men­ta­ri­sche As­pekt denn auch deut­lich zu­rück, die Bil­der sind abs­trak­ter – ein po­e­tisch­er An­satz, wie das sein Ti­tel »Who killed Bam­bi?« auch an­deu­tet. Er geht so weit, dass bei ei­ni­gen Ab­zü­gen das tote Tier kaum mehr als sol­ches zu er­ken­nen ist; es wird mit den um­ge­ben­den Struk­tu­ren zu ei­ner un­ge­gen­ständ­li­chen Gra­fik.
Im Text zu sei­nen Bil­dern schreibt Claus Die­ter ly­risch über die platt­ge­fah­re­nen Tie­re:⁠ [1]

Immer enger wird die Verbindung mit dem Untergrund,
immer flacher, immer feiner ihr Bild.
Und sie werden schön.

Und ist da­mit weit weg von der har­ten Re­al­ität des en passant zu Tode ge­kom­men­en Tie­res.

Denn da­rum geht es doch bei die­sen Na­tur­fo­to­gra­fien: sie zei­gen Le­be­we­sen, die durch un­se­re Au­to­fah­rer­ei um­ge­bracht wur­den. El­kes Ti­tel ist auch hier prä­zi­se wie ih­re Fo­tos, ver­weist das kol­la­te­ral in die­sem Zu­sam­men­hang doch deut­lich auf den mi­li­tä­ri­schen Be­griff des Kol­la­te­ral­scha­dens. Ein Eu­phe­mis­mus für ei­nen Scha­den, der als Ne­ben­wir­kung ent­stand.

Die Zahl der Op­fer ist je­den­falls schreck­lich hoch. Es gibt zwar kei­ne ge­nau­en Zah­len, vor al­lem nicht für die klei­nen Tie­re. Der Na­tur­schutz­bund Deutsch­land e. V. (NABU) schätzt je­doch, dass deutsch­land­weit jähr­lich bis zu 70 Mil­li­on­en Vö­gel durch Zu­sam­men­stö­ße im Stra­ßen- und Bahn­ver­kehr um­kom­men.⁠ [2] Und allein in Deutsch­land star­ben 2015 deut­lich mehr als 200.000 gro­ße Wild­tie­re bei Wild­un­fäl­len (da­von über 80 % Reh­wild).⁠ [3]

Tö­ten ist also ei­ne Ne­ben­wir­kung des Au­to­fah­rens.
Die­se Er­kennt­nis macht un­se­re Aus­stel­lung zu ei­ner Zu­mu­tung.
Die Fo­tos be­wer­ten nicht, es sind Do­ku­men­te. Sie zei­gen uns, wie es ge­we­sen ist auf der Stra­ße.
Den Rest er­le­digt un­ser den­ken­des Au­ge. Wir se­hen Bil­der to­ter Tie­re. Und da wir wis­sen, wie die­se zu Tode ka­men, se­hen wir letzt­lich uns selbst. Und zwar in zwei­facher Hin­sicht.

Zum ei­nen fra­ge ich mich: Wie aus­ge­prägt ist un­se­re Em­pa­thie für un­se­re Mit-We­sen? Wie ist das mit der re­spekt­vol­len Ko­exis­tenz von mensch­li­chen und nicht-mensch­li­chen Tie­ren auf der Ska­la zwi­schen Ver­wer­ten und Ver­mensch­li­chen? Und: Wo be­gin­nen Ge­walt­ak­te? Si­cher­lich noch vor dem Au­to­fah­ren. Pe­ter Fox bringt das auf den Punkt, wenn er vom »ei­ne Spin­ne tot-du­schen« singt:⁠ [4]

Hahnenkampf um einen Haufen Mist.
Jemanden opfern für einen lauen Witz.
Eine Spinne tot-duschen, wenn du in der Wanne sitzt.
Einem Dummen zeigen, dass du schlauer bist.

Zum an­de­ren er­innern mich die Bil­der an un­se­re ei­ge­ne Ver­letz­lich­keit; im­mer­hin star­ben letz­tes Jahr in Deutsch­land ne­ben den Tie­ren auch über 3.000 Men­schen nach Ver­kehrs­un­fäl­len.⁠ [5]
Hier schließt sich der Kreis zu den klas­sisch­en Stil­leben, die frü­her vor al­lem auch die Funk­tion hat­ten, uns an un­se­re Ver­gäng­lich­keit zu er­innern.


Fußnoten.
1Claus Die­ter Geissler: Who killed Bam­bi? Road Kills (2003). On­line: ⁠ ⁠cdgeissler.com/reisen.html (nach un­ten scrol­len) [2020-07-11]
2Das gro­ße Vo­gel­ster­ben. In­ter­view mit dem Vo­gel­schutz­ex­per­ten Lars Lach­mann. On­line: ⁠ ⁠nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/24661.html [2020-06-04]
3⁠ ⁠de.wikipedia.org/wiki/Wildunfall [2020-06-03]
4Peter Fox: Das zwei­te Ge­sicht (Der Butch­er); auf »Stadt­affe«; Down­beat Re­cords/Warner Music Group; 26.09.2008
5Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt: Ver­kehrs­un­fäl­le. On­line: ⁠ ⁠destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/_inhalt.html [2020-06-03]
ahttps://www.schaelpic.de/

Web­site des Fo­to­gra­fen Claus Die­ter Geissler:
⁠ ⁠cdgeissler.com [2020-07-11]
El­ke Braun hat kei­ne Web-Prä­senz.

El­ke Braun und Claus Die­ter Geissler: Road Kills
Aus­stel­lungs­ort: ⁠ ⁠schael­pic pho­to­kunst­bara
Schan­zen­stra­ße 27
51063 Köln
Tel. (02 21) 29 99 69 20
Aus­stel­lungs­dau­er:
25. März bis 21. April 2019
(Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr
und nach Ver­ein­ba­rung)
Zitierempfehlung (.BibTeX, .txt):
Frech, Martin: »El­ke Braun und Claus Die­ter Geissler: ›Road Kills‹ [Aus­stel­lung]«. In: Notizen zur Fotografie, 2019-03-25. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2019-03-25_Martin-Frech_Elke-Braun-und-Claus-Dieter-Geissler-Road-Kills-Ausstellung.html
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Frech, Martin: »El­ke Braun und Claus Die­ter Geissler: ›Road Kills‹ [Aus­stel­lung]«. In: Notizen zur Fotografie, 2019-03-25. Online: https://www.medienfrech.de/foto/NzF/2019-03-25_Martin-Frech_Elke-Braun-und-Claus-Dieter-Geissler-Road-Kills-Ausstellung.html$1